Leonardos Fahrrad? jörns notizen

Das ist doch keine Kunst? Was dann? Was, bitte, ist das, Kunst… »

31.
Mai
2010

Anatevka

‘Gebt uns auf dem Theater und im Film den Zerrspiegel unseres Lebens, dieses Lebens, des heutigen Lebens – und wir würden in einem Lachkabinett sitzen, in dem wir nicht immer genau wissen, was für Tränen es sind, die uns da aus den Augen kullern.’ – so forderte Tucholsky. Ich finde, diese Zeilen passen zur Anatevka-Inszenierung, die derzeit im Dresdner Schauspielhaus zu er-leben ist, von Heidi Leutgöb und Hannes Muik gelenkt, in einer wunderbar bespielbaren Kulisse von Renate Schuler. Eine ganze Familie professioneller Wegbegleiter hat uns Amateuren den Weg gebahnt. Auf jene Bretter, die die Welt bedeuten – eine Behauptung, deren Zustandekommen ich angesichts des gelebten Glücks der vergangenen Wochen und der Vorfreude auf alle kommenden Vorstellungen gut nachvollziehen kann. Bleibt nur dies Wort zu sagen, ein glücksfederleichtes, bedeutungstonnenschweres Danke!

31. Mai 2010, 08:38

14.
April
2010

Prof. Christian Hauschild ist verstorben.

So ahnbar es war, die Nachricht trifft ins Herz. Mein Lebensweg ist wesentlich geprägt durch ihn. Er brachte einen Stein ins Rollen; er hat meinem Leben eine erste große Liebe mitgegeben, die zur Musik. Ihn als Musiklehrer zu erleben war spannend. Aber unter seiner Leitung singen zu dürfen wirkte belebend, in jeder denkbaren Tiefe dieses Wortes. Möge recht vielen Dirigenten das Können, die Kraft und die Liebe gegeben sein, um Chöre mit solcher Wirkung zu leiten.

14. April 2010, 20:47

29.
November
2009

Das Grammophon im Schinken

Nach dem Mittag war die Luft raus, ich wohnte einer Schinkenpause bei. Soweit ich meine Augen offenhalten konnte: Sabrina, in Schwarz-Weiß, von Billy Wilder. In einer Szene schippern Audrey Hepburn und Humphrey Bogart in einem kleinen Kahn, und zwischen ihnen steht ein Grammphon. Kurz kurbeln, nächste Platte drauf, und wie stilvoll präsentierte sich die Klangkonserve!

Ja, der Plattenspieler hatte dann Verstärker, bald gab es Stereophonie – doch wie auf einem Boot und ohne Strom? Nächster Versuch, das Kofferradio, mit Bandsalat in der Kassette, Dank Batteriebetrieb mobil – aber ästhetisch kann doch so ein Ding dem Grammophon kein Wasser reichen. Da ist nur konsequent, es zu verkleinern, bis man es nicht mehr sehen muss. Und wenn die Ohrstöpselverkabelung mit Fitz nicht ohnehin zu erstem Näherkommen führt, so hat man wenigstens ein Thema, wenn es um die Deutung der Extras des ultrakleinen Spielzeugs geht.

Ich bin gewiss kein Technik-Feind, aber den Fortschrittsglauben mancher Zeitgenossen kann ich nicht begreifen. Zu viele Neuerungen sind mit schmerzlichem Verlust erkauft. Zu selten ists ein Kompromiss. Meist liegt es nur daran, behaupte ich, dass die Entwickler das Wesen ihres Gegenstandes nur halb begriffen haben und zu früh zufrieden sind. Das find ich schade.

29. November 2009, 15:53

06.
Januar
2009

Kitschwetter

Sanft sinkt Weiß hernieder, auf jedes Zweiglein, jeden Ast, schenkt jedem Pfahl ein Häubchen, hüllt Tages Lärm in Stille, der wintergraue Grund ist aufgelöst in watteweichen Eiskristallen, blauer Schimmer klaren Sternenhimmels und fahles Gold der Gaslaterne umspielen sich im Schnee. Jetzt ist Winter, und mich umgibt ein Bild wie Raureif-Hagebutte, wie dralle Trauben Weins vor bunten Blättern, wie Nebeltau auf Spinnennetzen, das Jahr ist reich an solchen Bildern, derer ich nicht überdrüssig werden kann, ist reich an Augenblicken, die mich eine klare Trennung zwischen Kitsch und Kunst als Quatsch erkennen lassen.

6. Januar 2009, 08:03

18.
Dezember
2008

Verführungs-Kunst

Kunst-Verführungskünste sind scheel angesehen; es ziemt sich nicht, die Kunst bekömmlich zu servieren, ist sie doch Medizin für Geist und Seele, und Medizin muss bitter schmecken. Zumal wir als Gebührenzahler manch Künste finanzieren, die über die Verführung nicht hinausgekommen sind.

Doch zu verführen ist – bei aller Anspruchslosigkeit des einen oder anderen – noch immer eine Kunst, und wenn es dann Verführung gar zur Kunst ist, ist das dann nicht die Königsdisziplin? Ich liebe Bücher und bedarf einer Verführung zum Lesen eher nicht. Aber ich weiß Verführung zu genießen. Vor kurzem war ich zum ersten Mal im BuchHaus Loschwitz, und dass ich da erst jetzt war, war ein großer Fehler: Es ist berauschend, wenn man auf so kleinem Raum vor solch Regalen steht! Fast jedes Buch verführt zum Lesen. Die Auswahl ist so fein getroffen, dass ich nicht mehr zu unterscheiden in der Lage bin, ob mich die Bücher dort in ihren Bann ziehn, weil sie genau so sind, wie ich die Bücher mag, oder weil ich in diesem Laden mich nach kurzer Zeit erkannt und aufgefangen fühle. Es ist Magie. Und der Beweis, dass es nicht großer Ketten und tausender Quadratmeter bedarf, um einen Buchladen besuchenswert zu machen. Buchläden zwischen den Extremen “feine Auswahl” und “aus Verzweiflung alles” mögen Schwierigkeiten haben. Der gutsortierte kleine aber hat noch Zukunft. Wenn wir ihn nur nicht übersehen. Buchhandlung des Jahres übrigens, sehr, sehr zu recht.

Schwerer zu übersehen ist “Lesen!” von Elke Heidenreich. Was ich von ihr und auch von diesem Reich-Ranicki in den letzten Wochen um den Eklat beim Fernsehpreis wahrgenommen habe, war erfrischend – nicht immer fand ichs überzeugend, nicht immer ganz vernünftig und durchdacht. Dass sie mit ihrer Sendung aus dem gebührenfinanzierten Fernsehn rausgeflogen ist, empfind ich als Gebührenzahler als eine Frechheit und Dummheit der Gebührenfresser, aber seis drum, ihr Neustart lässt mich hoffen. Nun ihre zweite Sendung schon an neuem Platz, auf litCOLONY.de – diesmal für mich nicht so überzeugend wie die erste dort, was solls, man kann sie alle sehen, in recht ordentlicher Qualität, wenn es der Zugang und der eigne Rechner leisten. Wär nett, wenn es die Sendungen direkt zum Download gäbe, denn die Teledumm hat es in Dresden noch immer nicht geschafft, an allen Orten DSL zu bieten. Alles, was man auf dem Computerbildschirm zu sehen bekommt, lässt sich doch ohnehin auch speichern (man muss nur wissen wie, und es ist nicht komfortabel) – es wäre nur schön, wenn nicht so oft die normalen Nutzer davon ausgeschlossen würden. Naja, jedenfalls erfrischend, diese Heidenreich, ich mag ihre Art, und wenn sie mir manchmal zu tüddelig wird, so bleibt doch immer dies: die spricht ihre Texte noch aus dem Kopf. Oder aus dem Herzen. Jedenfalls weiß die noch, was sie uns sagen will. Und das genieße ich. Und mir ist wurst, wenn sie dann mittendrinne doch mal auf ihren Zettel schaut und wenn sie noch die aktive Kamera nicht findet, die Frau redet ohne Punkt und Komma und ist begeistert und sie will begeistern. Kritik ist etwas anderes, das sagt sie selbst, Kritik kann amüsant sein, aber verführen wird mich immer eher die Empfehlung, wenn sie so herzlich ist.

18. Dezember 2008, 08:30

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