Leonardos Fahrrad? jörns notizen

13.
Juli
2007

Verzettelt verzettelt

Seh ich meinen Schreibtisch an, des Umriss nur dank seiner Maße sich aus der Masse Wirrwars drumherum noch ahnen lässt, so scheint das Wort ‘verzettelt’ Bild geworden.

Bisher dachte ich beim Anblick dieser Zettelvielfalt über Buch- und Notenstapeln, dass ‘sich verzetteln’ ganz natürlich verwandt sein müsse mit dem Zettel aus Papier, und bei ‘angezettelt’ dachte ich an jenen Zettel, auf dem der gute Luther seine Thesen festhielt, mit denen er nun wahrhaft Wesentliches angezettelt hat. Thesenanschlag her wie hin, ein Anschlag auf die alte Ordnung war es allemal. Von Ordnung kann bei meiner Zettelei nur eingeschränkt die Rede sein, zumal die Zettel nicht allein ‘verzettelte’, Papier gewordene Gedanken sind, sondern auch ich mich selbst tagaus, tagein verzettele, die vielen Zettel stehn dafür, beziehungsweise liegen.

Nun stolperte ich jüngst darüber, dass es den Zettel auch im Webstuhl gibt; die längs gezognen Fäden kann man so benennen. Das kommt von dem gestorbnen Wörtchen ‘zetten’ her, für ‘streuen’ und ‘ausbreiten’. Es gibt dem Verb ‘anzetteln’ eine viel schönere, komplexere Bedeutung: mit dem Aufspannen der Längs- oder Kettfäden, der ‘Zettel’ eben, beginnt man einen neuen Stoff zu weben. Und mein beständiges Verzetteln? Das alte Wort ‘verzetten’ heißt ‘verstreuen’, ‘einzeln fallen lassen’. Verzettelt Zeit und Kraft vertan? Warum, die Saat wird auch gestreut. Und die Hoffnung stirbt zuletzt. Darauf ein Prosit, mit halbvollem Glas in der Hand! Apropos ‘prost!’, nein, dieser Zettel führt zu weit, ich will mich nicht verzetteln. Vielleicht sollte ich eine Rubrik “Das Wort zum Wort” beginnen. Klingt aber irgendwie doof.

13. Juli 2007, 16:36